Mittwoch, 9. Dezember 2009

25.11.2009- 2.12.2009 Urbanes Indien





Mysore, eine vergleichsweise kleine indische Stadt, mit knapp 1 Mio. Einwohnern holt uns zurück in das urbane Indien. Der Lärmpegel aus Tuk-Tuks, jede Menge Busse und deren sehr bezeichnendes Hupen sowie eine unüberschaubare Anzahl Pkw’s machen uns schnell klar, dass Indien mehr als nur schöne Landschaft, nette Leute und viele Tiere zu bieten hat.

Unsere Unterkunft, das „Green Hotel“, ein 100 Jahre altes Palastgebäude und früher Landsitz der Wodeyar Prinzessin, liegt zentral, so dass alle wichtigen Sehenswürdigkeiten wie Markt und Tempel zur Freud eder Mädchen per Tuk-Tuk zu erreichen sind. Eines der ersten Hotels in Indien, welches umweltbewusst geführt wird und nur Produkte aus eigener Herstellung nutzt. Die Erträge gehen an wohltätige Zwecke. Wir ziehen in den Gartentrakt und haben dafür ein größeres Zimmer mit Doppelbett und zwei Matratzen auf dem Boden, dafür ohne schicke Wandmalerei. Inzwischen kommen wir fast immer recht unkompliziert in einem Doppelzimmer mit Zusatzmatratze unter und müssen uns nicht mehr aufteilen. Die drei Blondinen nehmen die großzügige hübsche Gartenanlage schnell in Beschlag.

Da noch immer ein Geschenk für Alexia aussteht dafür, dass sie nachts nun weder Flasche noch Windel benötigt, machen wir uns direkt nach unser Ankunft auf den Weg in die Innenstadt, um dieses nachzuholen. Natürlich gibt es jede Menge Läden, die alle mehr oder weniger vollgestopft sind bis oben hin mit qualitativ minderwertigen Produkten. Typisch indische Kleidung können wir den Mädels schnell ausreden, denn die Nachhaltigkeit des „Gefallens“ halten wir für kurzlebig. Am Ende kommt eine sehr süße T-Shirt und Rock-Kombi heraus, durchaus eine Alternative zu dem in 80% der Fälle getragenen lila Wickelkleid. Wie so oft, profitieren die Schwestern und Nicoletta bekommt auch ein Kleid. Die Haltbarkeit der Produkte stellen wir bei dem jeweiligen Preis von ca. € 3,- nicht Infrage.

Am nächsten Tag stürzen wir uns in die touristischen Attraktionen von Mysore. Unser erstes Ziel ist der Maharaja Palace – Sitz des Maharadscha’s von Mysore. Riesige Mengen von Schulklassen machen uns bzw. den Mädchen wieder das Leben schwer, aber so langsam entwickeln wir Abwehrmechanismen und auch unsere Tonlage wird strenger, wenn es darum geht, die Mädels vor dem ewigen Gezwicke und Gezwacke zu verschonen. Die Palastanlage besticht durch seine prunkvolle Inneneinrichtung sowie die Wand- und Deckendekoration, die durchaus mit Versailles mithalten kann.

Langsam lernen wir, wie man sich als „VIP“ fühlen muss. Jedes Mal, wenn wir uns im Schatten niederlassen, um ein wenig auszuruhen, sind wir in null-komma-nichts umgeben von einer Traube neugieriger bis aufdringlicher Inder, die unsere blonden „Barbie Dolls“ anstaunen, als ob sie aus dem besten Kinderspielzeug Katalog entsprungen sind. Selbst „uralte“ Moslems wollen sich mit den Mädels fotografieren lassen. Wir versuchen hier den Mittelweg zwischen „Völkerverständigung“ und Frieden der Kids zu finden, in dem wir freundliche Anfragen bei entsprechender Laune der Mädels zulassen. Dennoch entscheiden wir uns inzwischen häufiger mal für die touristischer AC-Varianten in den Restaurants, um wenigstens in Ruhe Essen zu können.

Der Besuch auf dem Devaraja Markt, der für seine farbenfrohe Blumen und das lebendige Treiben bekannt ist, geht entspannter zu. Das Blumenmeer ist etwas enttäuschend, wahrscheinlich waren unsere Erwartungen aufgrund der Lonely Planet Beschreibung zu hoch angesetzt. Dennoch genießen wir den Bummel und sind begeistert von der akribischen Anordnung der Obst- und Gemüseprodukte. Die deutschen Marktstände sind dagegen „Kraut und Rüben“. Klar, dass unsere Kinder nur bedingt den diversen Obstsorten etc. etwas abgewinnen können. Ausrufe wie „Mami, Kartoffeln gibt es doch auch bei Opi“ verstummen erst, als wir zu den vielen bunten kegelförmigen Haufen von Kumkum kommen. Kumkum ist farbiges Pulver, das für Bindi-Punkte auf der Stirn von verheirateten Frauen und für andere religiöse Rituale verwendet wird. Wir kaufen unterschiedliche Farben zum Malen entweder auf Papier oder der Haut.

Ariane kann endlich den lange geplanten Yogabesuch bei einem indischen Yogalehrer in die Tat umsetzen. Morgens früh um 6.00 erscheint sie pünktlich zum Ashtanga Yoga-Kurs. Ca. 30 Personen, mehr Männer als Frauen und erstaunlich viele Kinder nehmen an dem 90 minütigen Kurs teil. Spätestens beim Kopfstand wird Ariane klar, dass noch Verbesserungspotential besteht. Gejoggt wird in Mysore morgens früh um den See der Universität und die Kinder können sich herrlich in der Gartenanlage des Hotels austoben. Den zweiten Tag nutzen wir für eine Tour in die Umgebung und besuchen den Sommerpalast von Tipu Sultan in Srirangapatnam. Und schon wieder sind wir die Attraktion für die „blondverrückten Inder“. Kaum haben wir die Palastanlage betreten - wir kommen gar nicht dazu die Treppe in den Garten herunterzugehen - da haben sich schon ca. 30 Inder um uns positioniert und zig Photoapparate werden für dieses „Wahnsinns-Erinnerungsphoto“ gezückt. Die Enttäuschung beim entwickeln wird groß sein, denn die „3 Blondinen“ werden komplett von der Masse Inder verschluckt. Die Wandmalereien des Gartenpalastes interessieren uns zum Glück alle, so dass wir hier einige Zeit verbringen. Beim nächsten Stop - einer buddistischen Tempelanlage - sind wir wesentlich schneller durch, da die diversen „Schreins“ stark von Gläubigen besucht sind und das permanente laute Nachfrage der Mädels „Was machen die denn da? – Warum küssen die jetzt die Füße der Figur“ uns etwas störend erscheint. Unser Tuk-Tuk Fahrer, ein seit Jahren überzeugter Ashtanga-Yogafreak bringt uns noch zu einem sehr nett am Fluss gelegenen Restaurant und anschließend fädelt er sich souverän durch den chaotischen Stadtverkehr Indiens und bringt uns sicher nach Hause. Erik checkt noch mal emails im Internet-Café, was Nicoletta mit „Internet ist doch so langweilig wie der Besuch bei den tibetischen Leuten im Tempel...“ kommentiert.

Zwei Tage Mysore sind genug und so fahren wir am nächsten Tage gen Bengaluro, um von dort den Flieger nach Colcatta (ehemals Kalkutta) zu nehmen. Aufgrund extrem dichtem Verkehrsaufkommen in der Innenstadt, bei dem wirklich jeder Asphaltflecken von irgendwelchen mehr oder weniger fahrtüchtigen Fahrzeugen belegt ist, verstärkt durch einen bemerkenswerten Zusammenstoß zwischen einem Bus und einem LKW, erreichen wir den Flughafen recht knapp – aber ein derartiges enges Zeitmanagement sind wir ja seit unser Abreise aus Deutschland gewöhnt.

Colcatta erschlägt uns!!! Knapp 15 Mio. Menschen, noch mehr Dreck, noch mehr Autos, Tuk-Tuks, Busse, Hupen etc. Unvorstellbar!!! Die Fahrt vom Flughafen in Richtung Hotelregion dauert gut eine Stunde und der Taxifahrer fährt uns durch Wohngegenden, bei denen nicht ganz klar ist, ob es sich hier um Müllhalden oder Wohnraum handelt. Erschreckend, aber auch dies ist die Realität von Indien – wohl jetzt erst sind in wir im wirklichen Indien angekommen. Die Kinder nehmen es mit großer Gelassenheit, der Dreck und der Lärm stört sie ganz und gar nicht. Und auch unsere Erklärungen, dass hier viele Kinder auf der Strasse wohnen und das sogar teilweise ganz ohne Eltern, nehmen sie gelassen auf. Somit ist es auch mal ein Vorteil, mit kleineren Kindern zu reisen, da die Reflexion der unterschiedlichen Lebensumstände noch begrenzt erfolgt. Unser Unterkunft, das „Sunset Guesthouse“, als besonderer Tip im Lonely Planet als Mittelklassehotel eingestuft und eher auf der unteren Preisrange, entspricht nicht ganz unseren bzw. insbesondere Ariane`s Vorstellungen. Dennoch stellt Erik pragmatisch die positiven Seiten heraus: Wir haben massig Platz, zwei Badezimmer (zwar beide ohne Warmwasser und die Dusche ist auch eher mit einem leckendem Gartenschlauch zu vergleichen) und 4 Doppelbetten, die wir auf uns fünf aufteilen können. Spartanisch aber dennoch sauber eingerichtet ist das Zimmer wenigstens. Der Sicherungskasten im Eingangsbereich entspricht bedingt den deutschen Sicherheitsstandards, dennoch die „Boys“ des Hauses sind nett, der leicht veraltete Fahrstuhl mit „Fahrer“ hat durchaus seinen Charme und so bleiben wir. Ariane liegt zunächst etwas entnervt auf dem Bett und will sich überhaupt nicht auf Colcatta einlassen. Die Mädels interessiert das „Ambiente“ reichlich wenig, sie haben einen Heidenspaß und unterziehen die diversen Betten ausgedehnte Hüpftests. Nach einem Kaffee auf der Parkstrasse, quasi der „Goethestrasse“ von Colcatta, wird auch diese Stadt erträglicher. Laut einiger Inder ist die Parkstreet die einzige Strasse, die ein wenig zum Bummeln einlädt. Aber wer hier asphaltierte Bürgersteige o.ä erwartet, hat sich geirrt. Dennoch immerhin es gibt kleiner Passage von asphaltierten Gehsteigen und die harten Sandwege sind immerhin sehr sauber. Am dritten Tag werden wir auch nicht mehr von bettelnden Kindern oder Rikschafahrern angesprochen, denn alle wissen das wir weder Geld geben noch eine Rikscha benötigen. Auf der Parkstrasse finden sich gute Musikläden, ein toller Oxford Book Shop, einige westlich anmutende Modeläden und sogar ein Mc Donalds. Wir stöbern durch den Buchladen und sind mal wieder von den niedrigen Buchpreisen begeistert. Natürlich darf unser obligatorischer Pommesstop bei Mc Donalds nicht fehlen. Inzwischen sind wir schon bei knapp 100 Portionen Pommes im Rahmen dieser Reise angelangt. Mal schmecken sie besser mal schlechter. Nicoletta zieht inzwischen sogar den indischen Reis den Pommes vor.

In den drei Tagen Kolkata versuchen wir diese Stadt ein wenig zu verstehen. Wir hätten nicht gedacht, dass wir am Ende sogar noch einen 1-2 Tage länger hätten bleiben können. Die Stadt bietet viel. Sowohl der Besuch des Victoria Memorial (Palastanlage inspiriert vom Taj Mahal) am Tage als auch die Light & Sound Show am Abend bringen uns die Historie Kolkatas nahe.

Ein Besuch bei Bruder Ephrem Tirkey in Howath, einem Stadtteil von Kolkata, der hier eine Schule für Slumkinder seit 1992 betreibt, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck bei uns. 1992 hat er mit 7 Kindern aus den umliegenden Slums diese Schule begonnen. Inzwischen werden hier ca. 500 Slumkinder unterrichtet und ihnen so eine Grundlage geschaffen wird, dass sie eine ordentliche Ausbildung wahrnehmen können. Nicoletta und Alexia bekommen jeder ein Patenkind, für die wir die sehr überschaubaren jährlichen Schulgebühren tragen.

Die Fahrt dorthin führt uns in die ärmere Gegend von Kolkata und öffnen uns erneut die Augen für die Armut dieses trotz alledem so faszinierenden Landes. Zurück von Howrah fährt uns der nicht Lesen könnende Taxifahrer in seinem uralten gelben Taxi über die alte Brücke des Ganges – eine der meist befahrenen Brücken der Welt. Wir ruckeln vorbei an dem wunderschönen Hauptbahnhof und bekommen die nicht existierenden Stossdämpfer des Wagens deutlich zu spüren.

Insgesamt ist das Stadtbild Kolkata noch oft geprägt von den Einflüssen des englischen Imperialismus, alte, z.T. verfallene Hausfassaden zeigen, welche Bedeutung Kolkata als damalige Hauptstadt Indiens hatte. Das Gebäude der Hauptpost oder auch das entsprechend traditionell hergerichtete Hotel „Oberroi“ lassen erahnen, welche herrschaftliche Rolle Kolkata in der Zeit der englischen Besetzung gespielt hat.

Den modernen Teil Kolkata’s decken wir mit einem Besuch anlässlich des 1. Advents im Café Flurys oder mit einem Drink an der Bar vom Hotel „The Park“ ab. Dort treffen wir mit Freude unseren Freund Christian aus Hamburg , der soeben geschäftlich hier eingetroffen ist. Während die Mädels schlafend die Sofa’s belegen, genießen wir den Austausch mit ihm, der durch häufige Geschäftsreisen vieles über Indien zu berichten weiß. Seit Wochen vereinbart setzen wir hier auch eine alte Tradition fort und frühstücken zusammen. Wenn schon die Treffen in Frankfurt oder Hamburg nicht so oft klappen, so haben wir in Kolkata doch einiges aufgeholt!

Eriks frühmorgendliche Joggingrunde führt rund um den großen Park „The Maidan“– immer das Victoria Memorial im Blick. Kühnerweise in der Literatur mit dem Central Park und dessen Rolle für New York verglichen, ist der Weg hier doch von viel Müll gesäumt. Wie so oft ist eine Runde morgens gegen 6 Uhr eine gute Möglichkeit, die Stadt in Ruhe zu entdecken, viele gehen dem Frühsport in Form von Cricket oder Baseball nach, noch ist keine geschäftige Hektik ausgebrochen. Ariane zieht das Laufband im Fitnessclub vor. Die Mädels ertragen die Stadt erstaunlich gut und auch das permanente an der Hand gehen nehmen sie gelassen. Selbst wenn wir ihnen zutrauen, uns nicht im Gewühl zu verlieren, gibt es immer wieder rücksichtsvolle Inder, die uns ermahnen die Kinder doch besser an die Hand zu nehmen. Fragen wie „Warum hat unser Hotel keinen Garten“ zeigen uns jedoch, dass sie das freie Herumtoben vermissen.

Ein Stadtbummel über die diversen Märkte und durch die Strassen von Kolkata bestätigt das Image von Kolkata als eine irrsinnige dreckige, große aber gleichzeitig liebenswerte Stadt. Man braucht sicher einige Zeit, sich an die Stadt und ihre vielen Gegensätze zu gewöhnen, dann jedoch ist sie spannend und auf jeden Fall den Stopp wert. Auch wenn wir sicher nur einen Bruchteil erlebt haben, geht es nun doch weiter in Richtung eines der Highlights der Reise, nach Nepal. Am 1.12. fliegen wir mittags nach Kathmandu und sehen mit großer Vorfreude dem geplanten Trecking im Himalaya entgegen.


Green-Hotel in Mysore












Rush-Hour in Bengaluro


Parkstreet in Kolkata





Unsere "3" Sterne Villa in Kolkata inklusive Mäusebesuch
und Shoppen vor der Haustür


Victoria Memorial in Kolkata